Was passiert wenn es in einem Kinder- und Jugendwohnheim brennt?

Visselhövede 07.10.2016 (sk). Atemraubender Rauch liegt in der Luft. Ein ohrenbetäubendes und schrillend lautes Piepen ertönt im Haus und entwickelt sich im kurzen Abstand  zu einem schlecht eingetakteten Chor eines wachrüttelnden Piep-Konzertes.

Türen werden panisch aufgerissen und ein Weg raus, durch die mittlerweile mit dichten sichtnehmenden Rauch verqualmten Flure und des Treppenhauses, wird verzweifelt gesucht.
Einige schaffen es und rennen geschockt und noch halb vom Rauch benommen, im Garten und im Eingangsbereich des zweistöckigen Mehrfamilienhauses der Kinder- und Jugendwohngruppen Pape umher, auf der Suche nach ihrem Zimmernachbarn und der Erklärung was hier im Moment passiert.

Über ihnen lautstarke Hilfeschreie an den geöffneten Fenstern. Viele der Jugendlichen mussten sich auf ihre Zimmer zurückziehen und die Tür wieder schließen, weil einfach kein durchkommen durch den dichten dunklen beißenden Brandrauch im Treppenhaus möglich war.
19:12 Uhr. Irgendwo in der Ferne ertönen Sirenen, erst eine dann mehrere…

Funkmeldeempfänger der Visselhöveder Feuerwehrmänner und Frauen lösen aus: „Feuer 2 – Unklare Rauchentwicklung Mehrfamilienhaus, Kinder und Jugendwohngruppe, Verdener Straße 26, 27374 Visselhövede“ so der Text.

Auf der Anfahrt der Feuerwehrkräfte, die von allen schon befürchtete, aber nicht gehoffte Information der Einsatzleitstelle über Funk: „Bei der unklaren Rauchentwicklung handelt es sich um ein Feuer im Bereich des 1. Untergeschosses. Nach erster Aussage der Heimleitung befanden sich 22 Personen in dem Gebäude sowie auf dem Grundstück.“
Eine sofortige Stichworterhöhung folgt „F3-Y – Feuer im Mehrfamilienhaus, Menschenleben in Gefahr“

Die Sirenen in den Ortschaften Jeddingen und Nindorf heulen los, gefolgt von Wittorf, Buchholz und Kettenburg. Die ehrenamtlichen Feuerwehrkräfte dieser Ortswehren lassen ebenfalls kurzerhand ihre Wochenendplanung ruhen und eilen zu ihren Feuerwehrhäusern, um die Einsatzfahrzeuge zu besetzen. Jetzt wird jeder ausgebildete Feuerwehrmann und Frau benötigt, besonders ausgebildete und einsatztaugliche Atemschutzgeräteträger zur Menschenrettung und gezielter Löschmaßnahmen im Innenangriff des brennenden Gebäudes.

Die ersten Kräfte aus Visselhövede treffen am Ort des Geschehens ein. Eilends, kurz angebunden aber präzise, bekommen die Gruppenführer der Einsatzfahrzeuge Ihre ersten vom Ortsbrandmeister und  Einsatzleiter Kai-Olaf Häring entschiedenen Einsatzbefehle.
Die Rauchentwicklung geht vom Keller des Gebäudes aus.

Der Gruppenführer des Visselhöveder Hilfeleistungslöschgruppenfahrezuges (HLF) kehrt zurück von der Einsatzleitung und gibt folgende Aufträge an seine hinter dem Fahrzeug angetretene Gruppe, leicht angespannt aber deutlich, weiter:
„Angriffstrupp unter Pressluftatmer mit Kleinlöschgerät zur Menschenrettung durch den Haupteingang in den Keller vor!“, „Tanklöschfahrzeug stellt Sicherungstrupp!, „Wassertrupp: Wasserversorgung zum HLF aufbauen, Verteiler rechts vom Haupteingang, Wasserentnahmestelle Unterflurhydrant gegenüber der Hoyer Tankstelle. Besatzung des Mannschaftstransportwagens unterstützt hierbei“. „Schlauchtrupp und Maschinist: Haupteingang ausleuchten“ „Melder: Atemschutzüberwachung durchführen!“. „Zum Einsatz fertig!“

Die ebenfalls alarmierte Schnelleinsatzgruppe (SEG) Rettung Rotenburg Wümme mit 8 Rettungstransport- und 2 Gerätewagen, sowie einem organisatorischen Leiter (ORGL) und ein leitender Notarzt (LNA) treffen am Ort des Geschehens ein.
Ihre Aufgabe ist es nun, den bereits vor Ort befindlichen Rettungsdienst, bei dieser Großschadenslage (Massenanfall von Verletzten, kurz „MANV“) mit dem Aufbau und Betrieb einer Verletztensammelstelle, sowie eines Behandlungsplatzes zu unterstützen.

Zur gleichen Zeit kehrt der Gruppenführer vom Rüstwagen zu seinem Trupp zurück, mit dem Auftrag den Lichtmast am Fahrzeug auszufahren und zwischen den Gebäuden auszuleuchten. Im nächsten Schritt sollen Scheinwerfer auf Stativen bei der Verletztensammestelle in Betrieb genommen werden.

In der Ferne zügig näherkommend sind unterdessen weitere Martinshörner zu hören und Blaulichter zu erkennen.

Die weiteren Ortsfeuerwehren treffen ein. „Das wird auch Zeit, ich brauche hier dringend weitere Unterstützung!“, denkt sich Einsatzleiter Kai-Olaf-Häring nun etwas weniger angespannt.
„Wir benötigen dringend weitere Führungskräfte für die Bildung von Einsatzabschnitten, um die brisante Lage besser zu koordinieren“. „Auch brauchen wir weiteres Personal für die Menschenrettung und die erweiterte Absicherung der Einsatzstelle“. Kaum sollte dieser Gedanke zu Ende gedacht werden, lief auch schon schreiend eine panisch aufgebrachte Jugendliche quer über die Straße an ihm vorbei.
Die Anspannung und die Konzentration nehmen wieder weiter zu.

Unterstützung in Sachen Einsatzstellendokumentation und Nachforderungs-Aufträgen erhält der Einsatzleiter von der Anfang diesen Jahres neu gegründeten Einsatzleitung Ort, kurz „ELO“, die den Einsatzleitwagen besetzt hat und diesen kurzerhand zu einem „Einsatzinformationslagezentrum“ umgewandelt hat. Dies dient unter anderen dazu, alle neuen Information aufzubereiten und den weiteren Führungskräften, wie den Einsatzabschnittsleitern, zur Verfügung zu stellen.

Die weiteren eingetroffenen Ortswehren fangen kurzerhand an ihre Aufträge abzuarbeiten.
So meldeten sich die Atemschutzgeräteträger aus Jeddingen, Nindorf, Wittorf, Buchholz und Kettenburg bei der Atemschutzüberwachung an, um das 1. und 2. Obergeschoss des Hauses nach weiteren vermissten Personen abzusuchen.

Auch nicht ausgebildete Atemschutzgeräteträger wurden benötigt und konnten nun dringlichen Aufgaben nachgehen. So wurde die Atemschutzüberwachung mit weiterem Personal aus Buchholz verstärkt.
Dies ist auch dringend nötig, wenn rund 10 Angriffs- und Sicherungstrupps in und vor dem Gebäude aktiv sind. Bei mittelmäßig schwerer Arbeit bleiben jedem Träger im Durchschnitt 30 Minuten an Atemluft.
Es muss also jeder Träger erfasst sein, bevor er in das teilweise brennende Gebäude läuft. Auch muss in geregelten Abständen über Funk der restliche Flaschendruck jedes Trupps abgefragt und somit für den eventuell derzeit schwer arbeitenden Trupp im Innenangiff überwacht werden, damit dieser es auch noch aus dem Gebäude schafft.

Um den Rauch (in diesem Falle von Nebelmaschinen produziert) aus dem Gebäude zu bekommen, wurde nach den „Löscharbeiten“ im Keller ein Belüftungsgerät im Eingangsbereich des Treppenhauses in Stellung gebracht und die Fenster im zweiten Stockwerk geöffnet. Dies trägt ebenfalls dazu bei, bessere Sichtverhältnisse für die Atemschutzgeräteträger im inneren des Gebäudes zu schaffen.

Die Kräfte der Ortswehr Kettenburg übernahmen das Sichern und Absperren der kompletten Einsatzstelle. Während die Nindorfer Kameraden das Grundstück nach weiteren Verletzten absuchten, um diese gegebenenfalls zur  Verletztensammelstelle zu bringen, bauten die Wittorfer eine Riegelstellung zum Hinterhaus auf, unterstützten beim Verletztentransport zur SEG und leuchteten die Einfahrt zur Westerstraße aus.

Die Jeddinger bauten unterdessen die Wasserversorgung zum Innenhof, von der Weberlohstraße aus, auf und installierten dort ebenfalls eine Riegelstellung.

Insgesamt konnte nach gut zwei Stunden das Einsatzübungsszenario beendet werden.
Rund 80 Feuerwehrkräfte und 16 Kräfte der SEG Rettung Rotenburg begannen mit dem Rückbau der Einsatzmittel.

Im Anschluss wurden die Feuerwehrkräfte noch von der Leitung des Jugend und Wohnheimes, Frau Pape, zu einer kleinen Mahlzeit und Getränken eingeladen.
Dankende Worte gingen einerseits von Ausarbeiter der Großübung, Sascha Neumann, an Frau Pape und ihre „freiwilligen, durchaus authentischen, Helfer“ für das zur Verfügung stellen des Übungsobjektes für die Feuerwehren.

Sowie auf der anderen Seite auch der Dank von Frau Pape an die Feuerwehren Visselhövede.  Die erfreut darüber ist, dass die Feuerwehren für den Ernstfall, möge dieser nie Eintreffen, sich sicher sein kann, dass alles menschenmögliche getan wird.

Das Szenario wurde ebenfalls teilweise mit einer Kameradrohne begleitet. Ein Mitarbeiter der Werbeabteilung von der Unternehmensgruppe Hoyer Energie hat sich hierzu bereit erklärt. Auch hierfür und für die höchstwahrscheinlich beeindruckenden Videoaufnahmen (im Rahmen der Lichtverhältnisse) welche die Tage gesichtet werden, bedanken sich die Feuerwehren Visselhövede herzlich.

Diese alljährliche Alarmübung ist den ehrenamtlichen Feuerwehrkräften der Wehren im Stadtgebiet nicht vorher bekannt und wird in der Regel von einem kleinen Führungskreis unter strikter Geheimhaltung mühevoll ausgearbeitet.

Diese Maßnahme dient dazu die Ausrückezeiten und die Personalstärke der Feuerwehren zu erfassen, um für den Ernstfall nicht ausreichende Hilfeleistungsfristen und Maßnahmen aufzudecken und dem somit gegenzusteuern.
Im letzten Jahr fand diese Großübung auf dem Gelände der Hoyer Energie Unternehmensgruppe statt, an der rund 300 Einsatzkräfte über die Stadtgrenzen hinaus teilnahmen.

Fotos: Martina Husmann